Apostolos Palavrakis konstruiert Räume, in denen sich eine eigentümliche Realität entwickelt. Seine durchgehend mit Graphitstift geschaffenen, großformatigen Arbeiten auf Papier offenbaren raumhafte Gebilde, die zwar zweidimensional existieren, vom Betrachter allerdings ein räumliches Sehen beanspruchen. Dabei verlässt der Künstler den vertrauten Bereich illusionistischer Darstellung außerbildlicher Wirklichkeiten. Seine Plätze und Gebäude erscheinen nicht als begehbare, begreifbare, verfügbare Raumkörper, sondern entziehen sich als „unbestimmte Orte“ den üblichen Begriffskategorien.
Mit streng limitierten Mitteln erkundet der Maler, Bildhauer und Grafiker Konstruktionsformen und Wirkungen gebäudehafter Strukturen, deren Reduziertheit sie eher als Idee denn als Ort erscheinen lässt. Zwanzig großformatige Bilder aus den Jahren 2010 und 2011 werden zum ersten Mal museal präsentiert.
Seit über dreißig Jahren lebt der 1962 in Trikala, Thessalien (Griechenland) geborene Künstler in Deutschland. In der aktuellen Werkphase des gelernten Architekten stehen konstruierte Räume im Mittelpunkt. Während Palavrakis den Prozess der physischen Herstellung des Werkes durch die Verwendung des Graphitstifts und die Sichtbarkeit einzelnen Striche und Schraffuren nicht verleugnet, wirken seine Motive dem Menschen entzogen, wie Monumente einer fremden Realität. Zugleich massiv und doch fragmentarisch, bieten die dargestellten Oberflächen zuwenig erzählerische Informationen, um sich ganz erfassen zu lassen. Sie verweigern sich den Begrifflichkeiten und regen so beim Betrachter einen inneren Dialog, ein neues visuelles Denken an.
Eine erste Annäherung nimmt inszenierte Räume wahr, denen man so im alltäglichen Durchschreiten der Welt nicht begegnen kann. Ein riesiger architektonischer und unwirk-lich wirkender Körper zieht sich beispielsweise durch eine Landschaft, die man am Rande einer Industrieansiedlung vermuten würde. Der Betrachter mag diese Bildsituationen aus Städten des Ruhrgebiets wie Bochum oder Dortmund kennen, wo am Rande einer Siedlung und meist in der Nähe von Gleisen große metallene Rohre plötzlich auftauchen, die ursprünglich für die Versorgung von Zechen und Kokereien dienten.
In dieser Arbeit steht nicht so sehr ein virtuelles Industrieprodukt im Vordergrund, sondern ein Gebilde, definiert durch eine ausdrucksvolle geometrische Struktur. Ist es ein Entwurf eines perfekten Systems, welches durch eine Landschaft gleichsam rauscht, oder ist es ein bereits fertiges Gebäude, in welchem irgendeine Macht ausgeübt wird? Räume sind in aller Regel auch Repräsentationen von Macht.
Das Gebilde wirkt bedrohlich, nicht nur auf den ersten Blick. Es fehlt der Einblick in diese machtvolle Struktur. Diese Erkenntnis bieten viele der neuen Werke von Apostolos Palavrakis, kafkaeske Bauten werden dem Betrachter in der Ausstellung immer wieder begegnen. Die Architektur in diesen Werken für den Betrachter ein reiner Außenraum. Die meisten Werke haben daher einen eher skulpturalen Charakter, als dass sie genaue Architektur mit Funktion bezeichnen.
Nicht die Frage, was diese Gebilde bedeuten, steht im Vordergrund, sondern welche Wirkung sie auf den Betrachter haben, welche Gedankenverbindungen sie ermöglichen. Die großformatigen Werke auf Papier sind durchgehend als schwarz-weiße Entitäten konzipiert, um das Wesentliche dieser neuen Struktur zu manifestieren. Das Schwarz des Graphitstiftes bringt die notwendige Schwere in die reduzierten Bildstrukturen.
Palavrakis’ Orte weisen kein direktes Verhältnis zum Raum der Gesellschaft auf. Nach Michel Foucaults Verständnis wären sie in einem Zwischenbereich von Utopien und Heterotopien anzusiedeln. Es sind keine wirklichen Orte, sondern absichtsvolle Setzungen, deren hohe Präsenz den Betrachter in ihren Bann zieht.
Katalog: Apostolos Palavrakis, other spaces. Texte: Tayfun Belgin; David Galloway. Übersetzung Gérard A. Goodrow, Katja Ott. Düsseldorf, Beck & Eggeling 2011. 64 Seiten, zahlreiche Illustrationen, Beiträge dt. und engl., ISBN 3-930919-69-9
Apostolos Palavrakis: Untitled, 2009/2010, courtesy: Galerie Beck & Eggeling, Düsseldorf. Fotografie: Barajas Benito