Was verstehen Sie unter „Folkwang Impuls“? Dorsz: Die Wirkung des Folkwang-Gedankens liegt in der Person Osthaus begründet, genauer gesagt: in seiner Bereitschaft, allen progressiven Entwicklungen der visuellen Kultur Offenheit entgegen zu bringen. Karl Ernst Osthaus versuchte, innerhalb der Künste Grenzen zu überschreiten, neue Zusammenhänge wirksam zu machen. Zum Beispiel, indem er durch seine innovative Ausstellungspraktiken und neue, unerprobte museale Inszenierungen einen Dialog der Kulturen inszenierte. Sein Bestreben war es, den Begriff der Kunst auszuweiten, auch auf den Städtebau und die Gestaltung von Alltagsgegenständen, also all das, was wir heute unter den Begriff „Design“ fassen. Dabei war er impulssetzend für ein Verständnis vom Museum als einem Forum, in dem ästhetische Fragen als gesellschaftliche Entwicklungen diskutiert werden – ein Gedanke, der noch heute die Museen unserer Tage inspirieren kann. Bei der Ausstellungskonzeption sind wir ausgegangen von dem Gründungsimpuls des Folkwang Museums. Dieser war gekennzeichnet von der starken Aufbruchstimmung der damaligen Reformbewegung. In einer thematischen Hängung, die Ferdinand Hodlers Werk „Der Auserwählte“ und weitere damals für das Folkwang Museum erworbene Werke zusammen bringt, z.B. von Wilhelm Lehmbruck oder Otto Müller, wird der lebensreformerische Gedanke in der Ausstellung versinnbildlicht. Von hier aus verfolgt die Ausstellung dann die weitere, wechselvolle Geschichte des Hauses, bis hin zum heutigen Osthaus Museum Hagen. Beinhaltet die Ausstellung neue Einsichten, mit denen Sie der Öffentlichkeit andere Facetten des Wirkens von Karl Ernst Osthaus vermitteln? Dorsz: Es war spannend nachzuvollziehen, welch umfangreiches und intensives Beziehungsgeflecht Osthaus aufbauen konnte. Übrigens auch verblüffend, in welcher Schnelligkeit die damalige „analoge“ Kommunikation verlief. Nicht nur mit Händlern, auch mit Künstlern, vielen Kunstkritikern und bedeutenden Persönlichkeiten stand Karl Ernst Osthaus in regem Austausch. Dabei zeigt sich immer deutlicher, wie stark sein eigenes Denken von einem pädagogischen Ansatz geprägt war. Man muss ihn also ein wenig wegrücken von dem Bild des reinen Stichwortgebers und Kunstmäzens, und die Motive pädagogischen Handelns stärker gewichten. Diese kamen schon 1898/99 deutlich zum Ausdruck, als Osthaus gerade Mitte 20 war, in den Aufzeichnungen seiner ersten Orientreise. Zu diesem Zeitpunkt empfing er ganz entscheidende Impulse, die er sein ganzes Leben, auch noch in der kurzen Zeit zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs und seinem Ableben im März 1921, beibehalten hat, und die die Folie aller seiner Engagements bildeten. Die klassisch-idealistische Idee der sittlichen Vervollkommnung des Menschen durch die Kunst ist die Leitmaxime allen Handelns von Karl Ernst Osthaus. Welcher rote Faden zieht sich durch die Ausstellung? Dorsz: Der chronologische Aufbau entlang der Geschichte vom Folkwang bis zum Osthaus Museum, also von 1902 bis 2012, wird immer wieder schlaglichtartig unterbrochen zugunsten thematischer Setzungen. Einer dieser Schwerpunkte liegt bei den Werken der 50er und 60er Jahre, die mehr sind als einfach nur ein Aufrufen der Vergangenheit. Hier wollen wir näher an der Form der Ausstellungen von Osthaus arbeiten und seine Idee aufgreifen, dass ein Museum - und das gilt übrigens auch für diejenigen des 21. Jahrhunderts - dann spannend wird, wenn es nicht separiert und kanonisiert, sondern die Kunst in den Dialog setzt. Was sind die drei interessantesten Positionen oder Momente der Ausstellung? Dorsz: Die Neue Galerie mit der Präsentation außereuropäischer Kunst bildet einen Höhepunkt der Ausstellung. Wir zeigen aber auch einen jungen Künstler Hagener Herkunft, und übernehmen damit Osthaus’ Wirken als Förderer lokaler Kunst in die heutige Zeit. Die Brunnenhalle des Folkwang-Baus, mit der Innenausstattung des Jugendstil-Künstlers Henry van de Velde und dem zentral gesetzten Brunnen von George Minne das eigentliche Herzstück des Museums, wird als „Löwenhof“ in ein neues Licht gerückt. Wenn Sie den Reiz der Ausstellung kurz charakterisieren wollten, was würden Sie nennen? Dorsz: Es entsteht ein spezieller Dialog von Kunst und Archivmaterial, in einem gewissen Sinne von Original und Original. Natürlich steht dabei das Kunstwerk im Mittelpunkt der Betrachtung. Unser Ansatz bezieht sich auf den Gemeinplatz, dass man nur das sieht, was man kennt. Anders gewendet: das Archivmaterial kann alt vertraute und hinlänglich bekannte Kunstwerke neu kontextualisieren. Wir erhoffen uns dadurch eine Aufforderung zu einem intensiven (Hin-)Sehen, das vielleicht ein neues Verständnis erzeugt. Gibt es einen speziellen Hagener Zugang zur Person Osthaus, oder einen anderen Fokus auf seine Wirkungsgeschichte, der sich z.B. vom den in Essen entwickelten Perspektiven unterscheidet? Dorsz: Was Karl Ernst Osthaus selbst betrifft, erschöpft sich die Darstellung nicht in den Dokumenten, die ich während meiner Recherchen in den mehr als 90.000 Blatt des Karl Ernst Osthaus Archivs aus dem Bestand herausgezogen habe. Um seine Persönlichkeit und sein Wirken zu verstehen, sind die Reisemitbringsel und Urlaubssouvenirs, das Kartenmaterial und die Zeitungsausschnitte ebenso wichtig. Dies sind sprechende Dinge, die in dieser Breite noch nicht behandelt wurden. Osthaus als Reisenden zu verstehen ist essentiell, und fügt dem bekannten Bild des Mäzens und Förderers der Modernen Kunst entscheidende Aspekte hinzu. Viele außereuropäische Bestände, die Osthaus auf Reisen erwarb und die sich heute in Essen befinden, sind der Öffentlichkeit seit den 1970er Jahren nicht mehr zugänglich gemacht worden. Mit ihrer Hilfe verfolgte Osthaus damals den Wandel von Motiven über Zeiten und Kulturen hinweg. Aus diesem Grund war seine Sammlung so breit aufgefächert. Ein Raum der Ausstellung inszeniert eine 1913 von Osthaus’ Mitarbeiter Karl With in Japan gekaufte Skulptur und fordert heraus, sich einzufühlen in die Stimmung, in die Atmosphäre des ursprünglichen Folkwang Museums. Wir zeigen Dokumente und Kunstwerke europäischer und außereuropäischer Herkunft gemeinsam. Osthaus wurde in den letzten Jahrzehnten verstanden als einer der Motoren der Aufnahme der modernen Kunst in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus verfolgen wir mit der Ausstellung den Anspruch einer umfassenderen Darstellung. Unter anderem, indem die Form der Präsentation sich inhaltlich und formal viel stärker an den Intentionen von Osthaus orientiert. Gab es einen Moment, wo Sie selbst bei den Recherchen verblüfft waren, oder sich etwas in neuem Licht zeigte? Dorsz: Überraschend fand ich, wie sich bei Osthaus, beeinflusst durch seine Reisen, ein ganz starkes Suchen danach entwickelt hatte, sich aus dem Alltag heraus reißen zu lassen. Wer sind die Partner der Ausstellung? Dorsz: Leihgaben erhalten wir vom Folkwang Museum Essen, vom Deutschen Plakat Museum Essen, und von der Henry van de Velde Gesellschaft. Mehr als die Hälfte der Exponate stammt aus Eigenbesitz des Osthaus Museums. Das Interview wurde geführt von Melanie Redlberger, Pressereferentin des Osthaus Museums |